Warum dieser Motor? Riese & Müller Carrie Test

Mehrere Jahre hat im Portfolio von Riese & Müller ein kleines Long John Lastenrad gefehlt. Das Packster 40 war einfach zu kompromissbehaftet im Vergleich zu den großen Brüdern. Mit dem (der?) Carrie will Riese & Müller diese Kompromisse ausbügeln und zeigt ein komplett neu entwickeltes E-Bike. Wir konnten das Rad einige Wochen bewegen und in diesem Artikel bewerten wir es nach der Radelbande Bewertungsmatrix.

Hier gehts zur Score-Übersicht.

Und hier zu der Erklärung der Bewertung.

Fahrrad Kategorie

Fahrverhalten: 3/5
Das Fahren mit dem Riese & Müller Carrie gelingt auch Ungeübten recht schnell, dank des geringen Radstands und der, zumindest mit zusammengeklappter Box, recht geringen Breite. Lenkbewegungen werden direkt und recht leichtgängig übertragen, sodass auch schnell gefahrene Kurven und enge Passagen viel Spaß machen. Konstruktiv ist der Lenkeinschlag nach links aber stark eingeschränkt und sorgt gerade beim Wenden oder bei engen Kurven für den ein oder anderen Überraschungsmoment, da der Lenkeinschlag nach rechts vergleichsweise groß ist. Daran haben wir uns in den Wochen des Testens tatsächlich nicht gewöhnt.
Die 20″ Räder sind bei alledem kein Nachteil. Erstmal ist diese Laufradgröße bei Long Johns vorne sowieso gang und gäbe, aber man vergisst schnell, dass beide Laufräder so klein sind. Die Federgabel gleicht Vibrationen und Unebenheiten gut aus und der Schwalbe Big Ben Reifen ist für das kompakte Lastenrad eine etwas komfortablere Wahl, als der recht stabile Pick-Up, der hinten verbaut ist. Schaltvorgänge gelingen dank der Kettenschaltung knackig, allerdings müssen in beiden Richtungen die Gänge einzeln geschaltet werden, was gerade beim Runterschalten an der Ampel nervig ist. Die Bandbreite der Kassette ist dafür überaus angenhehm, wobei fürs alpine Gelände ein kleineres Kettenblatt von Vorteil wäre.
Der Performance Line Motor hat unter der Fahrt genug Power und Drehmoment für das recht leichte Carrie und kann gerade in Kombination mit der Kettenschaltung glänzen, auch dank seiner sehr leisen Arbeit. Allerdings hat der Motor auch eine ausgeprägte Anfahrschwäche, die sich darin äußert, dass es bis zu 1 1/2 Kurbelumdrehungen braucht, bis er unterstützt. Besonders schwer wiegt dieser Nachteil natürlich beim beladenen Rad und Anfahren an einer Steigung.
Hier würden wir uns einen sensibler ansprechenden Motor wünschen.

Innovation/Design: 4/5
Natürlich ist das Riese & Müller Carrie nicht das erste kompakte Lastenrad und auch nicht das erste Rad mit einer zusammenklappbaren Box. Allerdings haben Riese & Müller große Anstrengungen unternommen, um Carrie nicht nur optisch, sondern auch funktional abzuheben. Dabei ist das neue Design eine willkommene Abwechslung und steht dem Rad sehr gut. Auch die verschiedenen Möglichkeiten die die Ladefläche mit der Flex-Box und den diversen Konfigurationsmöglichkeiten bieten, kennt man im Kompakt-Lastenrad-Bereich bisher nicht. Ebenfalls klasse ist die Konzentration auf Nachhaltigkeit und die Nutzung von recyceltem Aluminium im Rahmen. Nur das verbesserungswürdige Lenkgestänge passt nicht zu dem ansonsten sehr ambitionierten Ansatz.
In Sachen Konnektivität kommen alle Vorteile des Smart Systems zum Tragen und Riese & Müller haben mit ihrem RX Chip eine mächtige Basis fürs GPS Tracking und weitere Funktionen.

Ausstattung: 3/5
Riese & Müller hat Carrie in der Mittelklasse positioniert. Das zeigt sich auch in der Ausstattung. Griffe und Sattel können nicht ganz mit den Teilen mithalten, die beim Packster beispielsweise verbaut sind, und auch die Beleuchtung ist zwar funktional, aber wirkt sehr einfach. Die Wahl für Microshift bei der Schaltung ist sehr spannend, denn auf der einen Seite ist es zwar eine Schaltung, die günstiger ist, als ein Shimano Pendant, aber funktional steht sie diesem in kaum etwas nach und wirkt sehr robust. Die etwas einfache Ausstattung zieht sich dann auch über die Bremsen, Motor bis hin zum Display, wobei das Purion 200 mein aktueller Favorit ist bei den Bosch Displays.
Der große Akku bietet im effizienten Carrie Touring eine Reichweite von über 50km in unserem Alltag. Den Meisten wird hier wohl der kleine 545Wh Akku reichen.

Preis: 3/5
Ein billiges Rad ist das Riese & Müller Carrie nicht. In der Grundausstattung ist es einige hundert Euro teurer als die direkten Mitbewerber, kann sich aber durch die höhere Konfigurierbarkeit abheben und bietet mit der Federgabel auch zusätzliche Komfort-Extras. In einer sinnvoll gewählten Ausstattung für die Familie kommt es schon sehr nah an die 7.000€ Grenze, in deren Bereich sich dann auch einige ausgewachsene Family-Long-Johns tummeln.

Qualität & Wartung: 4/5
Typisch für die Fahrräder von Riese & Müller ist auch das Carrie sehr gut verarbeitet. Alle Verbindungen und beweglichen Teile sitzen gut und spielfrei aneinander und machen einen langlebigen Eindruck. Der Rahmen ist schön verarbeitet und auch die Beschichtung scheint widerstandsfähig und langlebig zu sein. In der getesteten Version mit der Kettenschaltung braucht diese natürlich regelmäßig Aufmerksamkeit und Pflege. Und auch die empfindliche SR Suntour Mobie 32 Federgabel sollte regelmäßig gepflegt werden, da sie ansonsten bei widrigen Witterungen schnell Rost ansetzt.
Zur Wartung kann das Rad theoretisch zu jedem Fahrradhändler gebracht werden, da die Bosch Komponenten sehr gängig sind. Allerdings hat das Carrie auch einige spezielle Teile, an die nur ein Riese & Müller Händler herankommt. Aber hier gibt es zum Glück eine große Händlerdichte.

Lastenrad Kategorie 

Variabilität: 5/5
Für ein so kompaktes Long John Lastenrad ist das Carrie außerordentlich variabel. Dank der Konfigurationsmöglichkeiten lassen sich sowohl 30x40cm, als auch 60x40cm Euroboxen mit einem Gesamtgewicht bis zu 80kg leicht und abgedeckt mitführen…sogar gleichzeitig, ohne den optionalen Gepäckträger zu bemühen. Der ist wiederum ebenfalls sehr stabil und kann auch trotz der kleinen Räder mit Seitentaschen bestückt werden. Auch das Ziehen eines Anhängers ist freigegeben.

Kindersitze/ Bank: 3/5
Mit über 60cm Sitzbankbreite haben zwei Kinder im Riese & Müller Carrie ausreichend Platz, allerdings wird es durch die kurze Box schnell kuschelig mit den Beinen der Kinder. Die Sitzbankhöhe ist angenehm, allerdings ist die Rückenlehne konstruktionsbedingt recht niedrig, wenn man auf die Zusammenklappbarkeit der Box nicht verzichten möchte. Das alleine Ein- und Aussteigen gelingt erst größeren Kindern, da es außen keinen Tritt gibt.
Nicht optimal ist die Führung und Bedienung der Gurte. Einerseits sind sie wiederum konstruktionsbedingt recht niedrig, andererseits waren sie unseren Kindern unangenehm eng am Hals, wenn sie korrekt festgezogen sind. Andererseits rutschen sie über die Schultern, wenn sie gelockert werden. Die Gurtschnalle und Breite der Gurte sind aber wiederum gut gelungen, jedoch müssen alle Bestandteile bei jedem Anschnallvorgang gesucht und entwirrt werden. Das Sitzpolster enspricht dem anderer Riese & Müller Long Johns und ist insgesamt bequem.

Zubehör: 4/5
Dank des recht umfangreichen Konfigurators von Riese & Müller werden die Meisten ein passendes Rad zusammenstellen können. Das Regenverdeck ist kompromissbehaftet, holt aber alles raus, was konstruktionsbedingt geht und ist gut verarbeitet.

Parken und Rangieren: 4/5
Das Riese & Müller Carrie ist verhältnismäßig leicht, hat einen tiefen Schwerpunkt und ist auch von kleineren Personen leicht zu handlen. Der Ständer ist dabei besonders herausragend, da er sich selbst mit voll beladenem Rad und auf unebenen Untergründen sehr einfach bedienen lässt. Das Serienmäßige Speichenschloss erleichtert den Alltag und das Rad lässt sich auch dank der geringen Breite von knapp 40cm quasi überall hinstellen, auch an ende Bügel am Bahnhof. Nur der geringe Lenkeinschlag sorgt im Alltag für den ein oder anderen zusätzlichen Rangierer.

Sicherheit: 3/5
Draufsetzen, losfahren. So einfach ist das beim Carrie, selbst ohne Lastenraderfahrung. Nur die Anfahrschwäche sorgt für den ein oder anderen kippeligen Moment. Die Sitzposition lässt sich dabei voll auf die eigenen Bedürfnisse anpassen und sorgt für eine gute Übersicht. Die Bremsen spielen dabei nicht ganz in der obersten Liga, sind aber leicht in der Bedienung und zuverlässig. Die Beleuchtung kommt ohne Fern- oder Bremslicht aus, aber ist hell genug und der Scheinwerfer hat ein angenehmes Leuchtbild.
Bei der Sicherheit der kleinen Passagiere ist, abgesehen von den etwas niedrigen Gurten, nichts zu bemängeln. Sie sitzen nicht ganz am Rand in der Box und diese ist gut arretiert und sorgt durch das gewählte Material noch für Stoßabsorption.

Gesamtscore: 36/50

Fazit:

Das Carrie ist ein tolles, kompaktes Long John, dessen größter Vorteil die klasse Flex-Box ist, die sich tatsächlich äußerst flexibel nutzen lässt. Riese & Müller hat alles aus der geringen Gesamtlänge und Ladeflächenvolumen herausgeholt und es eignet sich somit für viele Einsatzzwecke, vom Commuter mit Stauraum bis zum Familientransporter für bis zu drei Kinder! Nur der Motor ist der große Nachteil dieses ansonsten tollen Bikes.

*Riese & Müller hat uns das Rad zur Verfügung gestellt und das Video finanziell unterstützt. Auf unsere Meinungsäußerung, die Gestaltung der Videos und die Erstellung dieser Bewertung hat dies keinen Einfluss. Wir sind herstellerneutral.

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