Lange war das Riese & Müller Packster sowohl preislich, als auch funktional unterhalb des Load angesiedelt. Spätestens, als das Packster 70 die Vollfederung bekommen hat, war es ebenbürtig mit dem Klassiker aus dem Riese & Müller Programm. Kann es mit der neuen Buggy Kabine endlich auch bei der Beliebtheit nachziehen?
Hier gehts zur Score-Übersicht.
Und hier zu der Erklärung der Bewertung.
Fahrrad Kategorie
Fahrverhalten: 4/5
Mit knapp über 60kg ist das getestete Bike natürlich nicht unbedingt leichtfüßig unterwegs. Dafür ist aber erstaunlich, wie stoisch es über Wurzelwerk und Kantsteine fährt. Dank der Vollfederung bleibt das Rad stets beherrschbar und fühlt sich auch bei Waldwegen pudelwohl. Nur zu eng oder technisch darf es nicht werden, da sollte man sich aber überlegen, ob ein Long John Lastenrad überhaupt das richtige Bike für den Einsatzweck ist. Die Lenkung hat eine gewisse Schwergängigkeit an sich, die dazu führt, dass Schläge vom Untergrund nicht durchgetreten werden. Sowohl die Federgabel als auch das Federbein arbeiten feinfühlig, sollten aber auf das Gewicht des Bikes + Beladung eingestellt werden. Die Enviolo Schaltung mag nicht so ganz zu den Fahreigenschaften passen. In einer eher ruhigen Gangart arbeitet sie zwar sauber, aber gerade bei stärkeren Steigungen bleibt sie hinter dem Anspruch des Bikes zurück.
Die Sitzposition ist dabei durchaus sportlich bei einem gleichzeitig recht hohem Lenker. Für Leute, die eher aufrecht sitzen wollen, ist das Rad weniger geeignet und kleinere Menschen müssen ihre Arme während der Fahrt weit strecken. Der Abstand vom Sattel zum Lenker beträgt zwischen etwa 65 und 73 cm, was in etwa den Werten bei Mountainbikes in großen Rahmenhöhen entspricht.
Die getestete GX Version mit den Stollenreifen kommt sowohl auf Asphalt, als auch abseits befestigter Wege super zurecht und bietet ein hohes Grip-Niveau. 1500 Wh Akkukapazität sorgt für eine prognostizierte Reichweite von 100km im Turbo Modus. In unserem Nutzungsszenario mussten wir allerdings nach knapp 60km an die Steckdose.
Insgesamt hat das Packster die besten Fahreigenschaften in der Klasse der großen Long Johns, krankt in gewissen Nutzungsszenarien aber an der Schaltung und der Sitzposition.
Innovation/Design: 4/5
Trotz der optisch leichteren Buggy-Option ist und bleibt das Packster designtechnisch ein ziemlicher Brocken, besonders in der getesteten Farbe Urban Grey Matt. Dennoch ist es ansprechend und entspricht dem Zeitgeist. Es gibt nicht viele vollgefederte Long John Lastenräder und Riese & Müller hat mit der Control Technology echte Pionierarbeit geleistet. Design und Konstruktion des Hinterbaus wurden über die Jahre behutsam angepasst, sind aber keine Augenweide. Das Packster2 70 ist kein schönes Rad, aber dafür ein sinnvoll konstruiertes. Das Platzangebot in der Box, der flache Unterboden und die Integration des Handschuhfachs bei einer geringen Gesamtlänge sind solche Details. Auch die Funktionsweise und Integration der Lenkung sind beeindrucken.
Die Integration des Smarten Systems hat dem Rad ebenfalls noch einmal gut getan, da jetzt Details wie das Smart ABS oder gewisse Sicherungsfunktionen möglich sind. Mit ihrem RX Chip bieten Riese und Müller in dem Packster auch standardmäßig ein Tracking und Versicherungsmöglichkeiten an.
Ausstattung: 5/5
Gerade das getestete Riese & Müller Packster kommt natürlich mit allem, außer der Enviolo Automatiq. Sattel, Griffe und Pedale sind hochwertig und auch alle anderen Anbauteile sind aus den oberen Regalfächern.
Preis: 1/5
Ab knapp 8.000€ für das vollgefederte Packster ist eine Kröte, die sich nicht leicht verdauen lässt. Damit ist das Rad auch teurer als die Hauseigene Konkurrenz und die (wenigen) Mitbewerber.
Qualität & Wartung: 4/5
Das Rad war out of the Box hervorragend montiert und ist sowohl in Sachen Beschichtung als auch in der Verarbeitung der Schweißnähte sehr gut aufgestellt. Bei der Fahrt sind keine Klappergeräusche hörbar, nur das vordere Schutzblech musste hin und wieder neu ausgerichtet werden. Die Konstruktion mit der gekapselten Lenkung und dem flachen Unterboden verringert Verschleiß. Allerdings sammelt sich im Kotflügel hinter dem Vorderrad sehr viel Dreck, was das Rad oft unansehnlich erscheinen lässt. In den 4 Wochen und knapp 200km der Nutzung musste ich einmal die Federelemente auf mich einstellen und den Reifendruck anpassen. Gerade die Federelemente benötigen laut Bedienungsanleitung nach gewissen Einsatzstunden bzw. im Jahres-Zyklus größere Wartungen. Mit der vormals oft gescholtenen Federgabel gibt es allerdings seit der Umstellung auf die SR-Suntour 34 keine Probleme mehr. Hier wünschte ich mir dennoch eine hochwertige Alternativen.
Riese und Müller unterhält ein recht dichtes Händler- und Werkstatt-Netz, was den Service vereinfacht, denn das Packster hat schon einige spezielle Teile.
Lastenrad Kategorie
Variabilität: 3/5
Gerade mit der Buggy Option ist das Packster2 70 stark auf den Familien-Einsatz ausgerichtet. Allerdings kann auch die Buggy Option auch mit dem Cargo-Carry-System ausgestattet werden. Nicht kombinieren lässt sie sich allerdings mit Doppel-Kindersitz und Gepäckablage vorne, was die Nutzbarkeit der Box mit Kindern etwas einschränkt. Das Packster hat, unabhängig von der gewählten Ausstattung immer eine EPP Box und ein Umbau auf eine flache Ladefläche ist nicht möglich. Somit ist der verfügbare Platz auf die Innenmaße der Box beschränkt, von herausragenden Teilen abgesehen, die aber großzügig bemessen ist. Auch gibt es einige Konfigurationsmöglichkeiten für die Mitnahme von Gütern. Auch die Belastbarkeit der Box reicht für die allermeisten Einsatzzwecke aus. Die zulässige Gesamtlast könnte aber gern höher sein. Mit 200kg ist es doch schneller überladen, als einem lieb ist. Besonders wenn, wie in Tilmans Fall, der Fahrer an der 100kg Marke kratzt.
Gut für die Variabilität ist allerdings die Anhängerfreigabe. Der Gepäckträger ist mit einer Belastungskapazität von 15kg ausreichend belastbar, ich vermisse dort aber ein Interface für die Montage eines Korbs zum Beispiel.
Kindersitze/ Bank: 4/5
Die Standard Sitzbank des Packster2 70 ist eine der besten Sitzbänke im Lastenrad-Bereich. Sie ist breit, hoch, hat gute Gurte, lässt sich verschieben und flacher stellen und ist gut gepolstert. Der Einstieg ist mit der Buggy Box angenehm niedrig, allerdings ist die Trittstufe an der Seite der Box nach wie vor viel zu klein.
Für die Mitnahme von Babys gibt es keine Option (mehr), diese müssten mit einer Schale im Anhänger vorlieb nehmen, allerdings können kleine Kinder auch auf der flach gestellten Bank recht früh Platz finden.
Einschränkend wirkt hier der recht kleine Fußraum. Das wird aber erst mit einem dritten Kinder auf dem vorderen Sitz zum Problem, der höchstens für kurze Strecken oder kleine Kinder funktioniert.
Zubehör: 4/5
Dank des umfangreichen Konfigurators lässt sich das Packster2 70 gut auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Die Buggy-Option ist eine Einheit aus Box und Verdeck und ist eine sehr gute Ergänzung für das Packster-Konzept. Die Schutzwirkung vor Kälte, Nässe und Sonne ist hervorragend und dennoch wirkt das Rad optisch mit dieser Option deutlich leichter als mit der Standard-Box. Ein paar Dinge empfinde ich aber als Verbesserungswürdig. Die Rückwärtige Abdeckung über den Sitzen könnte eine Scheibe vertragen, um auch bei geschlossenem Verdeck in die Box schauen zu können. Und eine Art Spoiler vor dem Lenker würde einerseits die Hände der Person auf dem Sattel, als auch die Kinder in der Box vor Regen während der Fahrt schützen, wenn die hintere Abdeckung geöffnet ist.
Das Packster bietet keine Möglichkeit, einen Flaschenhalter oder ein zusätzliches Schloss zu montieren. Dafür gibt es ein kleines Handschuhfach auf der Rückseite der Box. Laderaumtrenner in Kombination mit Sitzen für die Buggy-Option sind noch wünschenswert.
Parken und Rangieren: 4/5
Riese und Müller hat es beim Packster2 70 geschafft, viel Nutzwert auf verhältnismäßig kleinen Raum zu bringen und das schlägt sich auch beim Parken nieder. Der Wendekreis ist gering und dank des tiefen Schwerpunkts lässt sich das Rad auch gut in Balance halten. Das Rad ist aber ziemlich breit und kann vorne unübersichtlich sein. Der Ständer ist stabil und lässt sich dank seiner L-Form auch gut bedienen, durch das hohe Eigengewicht des Rads muss aber doch recht viel Kraft aufgewandt werden. Zum Anschließen steht ein Speichenschloss bereit, das mit der Einsteckkette intuitiv funktioniert. Auch die neue Tasche für die Kette ist ein echter Gewinn. Auf der Vorderseite lässt sich das Packster nicht anschließen, dafür stehen hinten genug Möglichkeiten bereit.
Sicherheit: 5/5
Sowohl die Laufruhe, als auch Details wie die hervorragenden Bremsen mit (optionalem) ABS, Scheinwerfer mit Fernlicht, Rücklicht mit Bremslicht und nicht zuletzt die Vollfederung machen das Rad zu einem sehr sicheren Begleiter für den Alltag. Aber auch die Passagiere sind gut geschützt. Mit breiten Gurten, hoher Lehne und einem stabilen Box-Konzept sitzen die kleinen Menschen entspannt und sicher vorne drin. Auch, dass sich das Packster2 70 mit Stollenreifen ab Werk ausrüsten lässt, ist super für alle, die regelmäßig über unbefestigte Wege fahren, oder ihr Rad das ganze Jahr über verwenden.
Gesamtscore: 38/50
Fazit:
Das Riese und Müller Packster ist einfach ein hervorragendes Rad, das aber in manchen Details und für manche Szenarien doch ein paar Schwächen hat. Für die Normfamilie mit zwei Kindern gibt es kaum ein Rad, das eine so ausgeklügelte Box mit so guten Fahreigenschaften verbindet. Dabei weiß das Packster aber nicht immer, was es sein will. Sportlicher Flitzer oder Komfortabler Gleiter?
Für ersteres ist das Gewicht zu hoch und es könnte eine Premium Schaltungsnabe a la 3×3 Nine oder Rohloff vertragen. Für letzteres ist die Sitzposition zu sportlich. Und es ist gleichzeitig sehr nah an dem Riese und Müller Load. Dieses ist leichter, gibt es mit den angesprochenen Naben und es bietet in der 75er Version noch mehr Platz für Kinder, die allerdings auf ungleich unkomfortablerem Gestühl sitzen. Und gerade kleinere Personen finden hier eine bessere, weil variablere Sitzposition. Dafür wirkt es eher in die Jahre gekommen und kann in Sachen Wendekreis und Box-Konzept nicht mit dem Packster mithalten.
Es sind nur kleinere Anpassungen nötig, um das Packster2 70 CT zu einem insgesamt besseren Bike als das Load zu machen, aber so bleibt die Qual der Wahl, ob die Box oder die Fahreigenschaften Priorität haben. Die Vollfederung ist jedoch in den allermeisten Fällen nicht notwendig. Und daher fiele meine persönliche Wahl sowieso auf das fair eingepreiste Packster2 70 Family.
*Riese und Müller hat uns das Rad ausgeliehen und das Video finanziell unterstützt. Auf unsere Meinungsäußerung, die Gestaltung der Videos und die Erstellung dieser Bewertung hat dies keinen Einfluss. Wir sind herstellerneutral.